Interview

Einem Algorithmus bei der Arbeit zusehen

Im Gespräch mit Jürgen Mayer H. und Tobias Nolte

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Jürgen, was hat damals Ihr Interesse an Tobias’ Projekt Mine the Scrap geweckt?

Jürgen: Tobias überzeugte mit einem komplexen Konzept, das neue digitale Technologien, innovative Gestaltungsansätze und damit unsere tägliche Arbeitsgrundlage mit einem konkreten und wichtigen Thema in Verbindung gebracht hat: der Frage danach, wie wir mit Ressourcen, Abfall und Müll umgehen?. Diese Frage wird uns zukünftig immer mehr beschäftigen. Mine the Scrap ist eine Idee, die in die Zukunft schaut, mit zeitgenössischen Themen und Technologien arbeitet und das Ganze auf innovative Weise neu zusammenbringt. So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen und das machte mich neugierig.

Wie hat sich eure Zusammenarbeit gestaltet?

Tobias: Unser Büro Certain Measures ist zwar in Cambridge in den USA, aber ich bin in den letzten Monaten sehr häufig in Berlin gewesen. So konnten wir uns glücklicherweise immer persönlich treffen, was die Sache ganz erheblich vereinfacht hat.

Jürgen: In der gemeinsamen Arbeit hat sich wirklich gezeigt, dass über Medien wie Skype natürlich ein ständiger Austausch stattfinden kann, aber das persönliche Gespräch trotzdem nicht ersetzbar ist. Viel passiert eben auch in informellen Treffen. Man geht zusammen essen, und dann kommt einem unvermittelt ein neuer Einfall. Das zeigt sich auch im Projektverlauf. Es gab zwar zu Beginn ein klares Konzept, aber gerade bei kleineren Fragen und Informationen, die man sich über Kontaktpersonen aus dem eigenen Netzwerk holt, war eine räumliche Nähe sehr hilfreich.

Tobias: Ich habe mir tatsächlich gerade gestern überlegt, was die Fieberkurve unseres Projektes Mine the Scrap war. Im Prozess mit Jürgen war für uns sehr entscheidend, immer wieder über die konkrete Rückkopplung des Projekts an Bedeutung und Relevanz für das Hier und Jetzt zu sprechen. Gerade, weil es manchmal etwas mit uns durchgeht, wenn wir über Algorithmen nachdenken.

Insofern war die Fieberkurve dann häufig so, dass man von der großen Begeisterung für die technischen Möglichkeiten, die Algorithmen bieten, wieder zu der Frage zurückkehrt: Was ist die praktische Anwendung? Die Fieberkurve verläuft daher von absoluter Begeisterung hin zu der immer wiederkehrenden Aufgabe – mit nicht weniger Begeisterung – dem Ganzen erneut eine fundierte Ebene zu geben und zu fragen: Wie verhält sich das jetzt konkret zur Realität?

Jürgen: Genau, und dadurch den Tunnelblick immer wieder ein bisschen ausweiten. (beide lachen)

Man merkt, dass es eine produktive Energie gibt und man in sechs Monaten viel herstellen kann – das ist faszinierend. Andere Aspekte kommen in diesen begrenzten sechs Monaten etwas kurz, wie beispielsweise weitere Partner für das Projekt aus Ministerien, Wirtschaft oder Forschung zu gewinnen, die so ein Projekt von außen unterstützen können. Die Präsentation auf dem Forecast Festival ist demnach auch kein Endpunkt, sondern zusätzlicher Anschub, solche Themen weiter zu entwickeln. Denn es gibt ein großes Interesse für die Arbeit und nach dem Forecast Forum geht es dann in die Vertiefung der weiteren Potentiale.

Tobias: Man könnte ja auch behaupten, ein Mentoring-Prozess lasse sich selber durch Eigeninitiative starten. Ich hätte Jürgen anrufen können und sagen: Hast du nicht Lust, das gemeinsam zu machen? Entscheidend bei Forecast ist aber, dass überhaupt für Ideen und Kollaborationen ein Rahmen geschaffen wird und vor allem auch eine Öffentlichkeit. Denn wenn man die nicht hat, bekommen Projekte und Ideen, die kein Budget oder Klienten haben, oftmals nie die Notwendigkeit, sich wirklich mit ihnen auseinanderzusetzen. In dem Moment, wo es so etwas wie Forecast gibt und man Ideen einer Öffentlichkeit präsentieren kann, bekommt es automatisch diese Notwendigkeit.

Was können zukünftige Anwendungsgebiete für Mine The Scrap sein?

Jürgen: Für mich zeigt Mine the Scrap beim Wiederverwenden von Bauschrott zwei Ansatzpunkte auf, die jeweils großen Einfluss auf die Gestaltung und Produktion von Architektur haben werden. Im lokalen Einsatz bei und nach Katastrophen, im internationalen Kontext als ein neuer Verteilungsprozess durch Big Data. Wenn sich Bauschutt wieder in andere Bauprojekte integrieren lässt, ist das relevant für Katastrophengebiete. Häuser lassen sich mit dem gefundenen Material, das nach der Katastrophe übrig bleibt, wieder aufbauen. Und der andere wichtige Bereich ist das international erwartungsvoll diskutierte Thema Big Data und das Andocken von Mine The Scrap an Themen wie Nachhaltigkeit und Effizienz. Die Arbeit ist wirklich breit gefächert. Daher gab es eben Momente, in denen ich Tobias bei seiner Begeisterung für Algorithmen ab und zu auf die Relevanz seiner Einsatzgebiete aufmerksam machte. Algorithmen sind spannend und es entstehen tolle Grafiken, aber die Umsetzung und Anwendung im Gestaltungsprozess macht seinen Ansatz noch viel spannender.

Einem Algorithmus bei der Arbeit zusehen: Wie kann man sich das vorstellen?

Tobias: Das Prinzip von Mine the Scrap läßt sich am besten vergleichen mit einem Algorithmus, der einem das beste Sandwich vorschlägt, wenn man ratlos vor den Resten in einem halbleeren Kühlschrank steht. Aber da wir Architekten sind, gucken wir nicht in den Kühlschrank, sondern auf Altmaterialien oder Bauschutt. Der Algorithmus schlägt vor, was das beste Haus oder die beste Form ist, die man daraus bauen kann. Er verhandelt zwischen meinen Vorstellungen als Designer und den Möglichkeiten, was ich an Ressourcen zur Verfügung habe. Das ist das Prinzip der Technologie.

Hier gibt es mehr Information zu Tobias Noltes Projekt Mine the Scrap.