Mit dem Unerwarteten spielen
Im Gespräch mit Barbara Vanderlinden und Kalliopi Tsipni-Kolaza
Was hob damals Kalliopis Projektidee von anderen eingereichten Konzepten ab?
Barbara: Im Falle von Kalliopis Vorschlag war es auf jeden Fall die Tatsache, dass sie einige unterentwickelte Aspekte des Kuratierens thematisiert, und das ist Klang in Beziehung zu Raum und auditiver Kultur allgemein. Nach meinem Gefühl ist das ein Bereich im Kuratieren – aber auch in der Kunstkritik, der ein wenig hinterherhinkt, wenn es darum geht, Klang als Material oder Medium kritisch zu verstehen. Aus Kalliopis Vorhaben las ich ein starkes Interesse am Medium Klang und an seiner Beziehung zum Kuratieren heraus, und auch ein allgemeines Interesse am kritischen Nachdenken über Klang im gesellschaftlichen Kontext; sei das eine politische, soziale oder geografische Agenda. Ich fand, dass sie einen kuratorischen Vorschlag und eine Recherche entwickelt hat, welche die kuratorische Praxis erweiterten und das war mein Hauptgrund, Kalliopi auszuwählen.
Wie unterscheidet sich die Arbeit eines von anderen Disziplinen?
Kalliopi: Ich denke, Kuratieren ist komplizierter als jegliche andere Disziplin, weil deine Arbeit von den Ideen und der Arbeit anderer Menschen abhängig ist. Es fußt auf einem Prinzip des Austauschs. Andererseits ist es für mich viel schwieriger, Dinge allein festzulegen, und ich bevorzuge es, im Dialog mit anderen Leuten zu sein. Von den anderen Mentees, die bei Forecast teilnehmen, habe ich die Vorstellung, dass sie unabhängige Autoren sind. Die Fotografin ist Autorin ihres Werkes, genauso wie Architekten oder Filmemacher. Beim Kuratieren ist es ein wenig komplexer, weil du gemeinsam mit anderen Menschen auf etwas hin arbeitest und viele Dinge sind in diesem selbst Prozess enthalten.
Barbara: Das Wort „Kuratieren“, das einst selten außerhalb von Ausstellungen oder musealen Konzepten verwendet wurde, wird heute ein wenig überbeansprucht und auf jegliche Aktivität geklebt, die etwas mit Auslese und Auswahl zu tun hat. Diese mögen zwar tatsächlich Aspekte des Kuratierens darstellen, dennoch stellt Kuratieren für mich immer eine sehr bestimmte Arbeit mit einem Künstler dar. Was den Kurator als Produzent unterscheidet, ist eine Praxis, die direkt mit der Produktion von Kunst und Ausstellungen verbunden ist. Es geht nicht darum, Objekte auszuwählen und zu arrangieren, sondern um eine Art, mit Ideen zu arbeiten, eng mit dem Künstler und den Materialien zu arbeiten und neue Ausstellungsformen zu entwickeln. Wenngleich Auswählen und Arrangieren sehr wichtig sind, arbeitest du dennoch in erster Linie mit lebenden Künstlern, Materialien und Ideen, änderst die Details des Themas, entwickelst Kunstwerke und transformierst die Arbeit während dieses kuratorischen Prozesses. Deswegen habe ich mich für Kalliopi entschieden. Sie agiert nicht als Beobachterin, beschreibende Autorin oder Kritikerin, sondern Kalliopis Rolle als produzierende Kuratorin ermöglicht es ihr, auf künstlerische Weise mit den Künstlern zusammenzuarbeiten.
Kalliopi: Genau, mir gefällt am Kuratieren, dass du nicht immer die Kontrolle darüber hast, was gerade passiert. Bis zu einem gewissen Punkt kannst du die Kontrolle haben, aber dann bringen andere Menschen Dinge ein, und du musst spielerisch damit umgehen. Es kann etwas Unerwartetes passieren, und das interessiert mich daran.
Barbara: Auf der einen Seite nimmst du eine distanzierte Haltung ein und schaust, was verschiedene Leute mitbringen, und als Produzentin begibst du dich in den eigentlichen Schaffensprozess hinein. Du hältst Zwiesprache mit dem Künstler darüber, was eine Arbeit sein könnte oder wie vielleicht die Präsentation einer Arbeit ihre Idee oder sie selbst beeinflusst. Wenn du akzeptierst, das der Kurator ein integraler Bestandteil zeitgenössischer Kunstproduktion ist, dann können wir annehmen, dass Kuratoren Kollaborateure der Beziehung der Kunst zur Öffentlichkeit, zum Sozialen, Politischen und zu anderen Sphären der Gesellschaft sind. Ich denke, es ist gerade jetzt sehr wichtig, diesen Aspekt zu betonen, da Kuratieren zu einem Begriff geworden ist, der sich scheinbar auf jede Disziplin anwenden lässt, aufgrund seiner Fähigkeit auszuwählen, zu archivieren, Dinge zu positionieren, Entscheidungen zu treffen und diese zu präsentieren. Das sind tatsächlich Methoden, die das traditionelle Kuratieren mit vielen anderen Disziplinen gemein hat. All diese Formen beschreiben Prozesse, die in Bezug auf die zunehmende Informations-Komplexität, der wir heute gegenüberstehen, extrem relevant sind. Dennoch unterscheidet sich das von dem, was meiner Meinung nach die Rolle des produzierenden Kurators ist. Er oder sie ähnelt eher einem Filmproduzenten in dem Sinne, dass du in die Entwicklung und Herstellung einer Arbeit eingebunden bist, die eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Künstlern und Disziplinen beinhaltet.
Wie habt ihr zusammengearbeitet, wie war eure Praxis?
Barbara: Ich würde sagen, dass ich meine Erfahrung und Überlegungen mit in den Prozess einbringe. Und Kalliopi bringt ihre ein. Ich verstehe Mentoring nicht als Unterricht, bei dem man bestimmte Informationen zur Verfügung stellt. Es ist eher ein Prozess, Erfahrungen mit jemandem zu teilen, den du als Kollege und Teilnehmer an einer Unterhaltung ansiehst. Ich glaube sehr an das Konzept des Mentoring. Weil es eine Form des Unterrichtens ist, bei dem du durch die Spannungen der realen Welt navigierst.
Kalliopi: Genau. Das macht bei Forecast den Unterschied. Barbara ist natürlich viel erfahrener als ich. Für mich ist das mein zweites eigenständiges Projekt, das ich bislang gemacht habe. Ich fühlte mich frei, meine Gedanken ohne Angst vor einer Einschüchterung zu teilen und ich finde, unsere Unterhaltungen liefen auf Augenhöhe ab. In der traditionellen Ausbildung bekommst du nicht die Möglichkeit, solch eine enge Beziehung mit Mentoren oder Betreuern zu entwickeln. Ein solcher Zugang ist sehr selten, und es ist großartig, das Forecast diesen ermöglicht.
Woher kommt dein Interesse für die Beziehung zwischen Klang und Raum für deine Ausstellung bei Forecast?
Kalliopi: Ich war früher Musikerin und daher schon immer an Arbeiten interessiert, die sich mit Klang und Musik beschäftigen. Wie Klang unsere räumliche Wahrnehmung und Beziehung zu Kultur im allgemeinen beeinträchtigt, interessiert mich immer mehr. Klang hat die besondere Eigenschaft, sich durch Zeit und Raum hindurch zu bewegen und im Körper Widerhall zu finden, und das wollte ich weiter erkunden.
Aber wenn es um das Ausstellungsmachen und um das Nachdenken darüber geht, weckt immer zuerst die Arbeit des Künstlers mein Interesse. Der Anfangspunkt war für mich, die Arbeiten von Joe Namy zu entdecken. Ich finde, er hat über diese Beziehung auf kluge Weise nachgedacht, und ist sehr relevant. Seine Arbeit und Erkundung der Kunst des Samplings, seine Sammlung sortierter Samples und Clips von zehn anderen Künstlern war der Startpunkt unserer Unterhaltung. Das Gleiche gilt für sein Concrete Sampling Projekt, bei dem er mit einem Team von Arbeitern an einem Ausgrabungsort/einer Baustelle in der Innenstadt von Beirut eine Performance vor Ort gab, in der die Akustik des Ortes die Arbeit direkt beeinflusst hat.
Barbara: Für mich war es die Tatsache, das Kalliopi die Beziehung zwischen Klang und politischem, geographischen und physischem Raum untersucht hat. Im Bereich des Kuratierens arbeiten wir mit sehr offenen Systemen von Materialien und Disziplinen.
Wir arbeiten mit „Orten der Erfahrung“, daher ist die Untersuchung der Beziehung zwischen Ausstellung und Kunstwerken, die sich mit akustischen Umgebungen beschäftigen, interessant.
Es geht bei beidem nicht darum, etwas visuell zu beobachten, es geht nicht nur um formale Dinge, sondern sehr stark um Erfahrung. Innerhalb dieses Bereiches scheint mir, dass das Medium Klang die freieste aller Formen ist, eine Energie, die innerhalb des Mediums Klang gelöst ist und die durch jedes Material reisen kann, und er kann selbst Objekt sein. Er ist etwas, das uns materiell, emotional und körperlich erfasst. Ich fand es daher immer merkwürdig, dass Klang als Medium noch nicht so oft von einem kuratorischen Standpunkt aus erkundet wurde. Oder manche haben lange Zeit versucht, ihn zu objektivieren durch das, was Sound Art genannt wurde. In einer Zeit, in der insbesondere die Vorstellung von und offenen Systemen so wichtig ist, gibt es dieses eine Medium, dass diesen Seinszustand vollkommen repräsentiert, und das ist Klang.
Hier gibt es mehr Information zu Kalliopi Tsipni-Kolaza’s Projekt Sonic Revolutions: Vibrations from the Levant.